Hier seid ihr in der www.nick-francis.de Straße 9

Wie ihr sicherlich schon mitbekommen habt, ist mein Name Nick Francis und ich bin Buchhändler aus Leidenschaft. Mein Leben verlief im Großen und Ganzen in ruhigen Bahnen. Es passierte nichts, worüber es sich lohnen würde, groß etwas zu erzählen. Jedenfalls bis zu jenem Freitagabend auf dem Dachboden meiner Buchhandlung, der mir als eine Art Lagerraum dient. Alles begann damit, dass ich beim Aufräumen ein Buch fand, das einmalig auf der Welt sein dürfte. Keines ist wie seinesgleichen, doch dazu gleich mehr, denn zuvor möchte ich euch erzählen, wie ich zu der Buchhandlung gekommen bin.

Diese hatte ich vor einem Jahr von meinem alten Freund und Mentor Willi Funke übernommen. Er heißt eigentlich Wilhelm, aber ich habe noch nie gehört, dass ihn jemand so nannte. Willi handelte mit antiquarischen und neuen Büchern im An– und Verkauf.  Schon als Kind bin ich oft zu Willi in die Buchhandlung gelaufen, um in den Hunderten von Büchern zu schmökern. Nie musste ich ein Buch kaufen. Wenn mir eins gefiel, durfte ich es unter der Bedingung, es sorgsam zu behandeln, mit nach Hause nehmen, um es dort in Ruhe zu lesen. Nach ein paar Tagen brachte ich ihm das ausgelesene Buch zurück, und Willi stellte es wieder ins Regal zu denen, die verkauft werden sollten. So stand es dann wieder jungfräulich zwischen den anderen Büchern, als sei es nie weg gewesen.

Willi hatte eine Menge Kinderbücher, denn er war der Meinung, dass ein Kind nicht früh genug damit anfangen könne, seine Fantasie durch das Lesen zu beflügeln. Bei mir kam, neben dem Lesen, später als Jugendlicher, noch die Leidenschaft zu Filmen dazu. Es war die Zeit, in der die Videorecorder die Haushalte eroberten. In dieser Zeit vernachlässigte ich das Lesen ganz schön. Doch schnell fand ich ein gutes Mittelmaß für diese beiden Fantasiebeflügler, welches ich bis heute beibehalten habe. Am meisten reizen mich Romanverfilmungen. Ich finde es immer wieder spannend, was die Drehbuchautoren und die Regisseure aus einem Roman machen.

Mit fünfzehn begann ich hin und wieder bei Willi im Laden auszuhelfen. Ich sortierte neue Buchlieferungen in die Regale, zeigte den Kunden, wo sie welche Bücher fänden und nahm Bestellungen entgegen. Damit konnte ich mir mein Taschengeld ein wenig aufbessern. Allerdings war das Geld für mich Nebensache. In erster Linie brachte es mir riesigen Spaß, zwischen all den Schätzen zu arbeiten. Täglich stieß ich auf neue und interessante Bücher. Zumindest waren sie für mich neu, denn die meisten hatten ja schon einige Jahrzehnte, manche sogar Jahrhunderte auf ihren Seiten.

Nach der Schule begann ich, wie sollte es anders sein, eine Lehre zum Buchhändler. Diese absolvierte ich bei einer großen Buchhandelskette. Lieber hätte ich die Ausbildung bei Willi gemacht, doch er vertrat die Ansicht, dass es besser für mich wäre, woanders zu lernen, damit ich nicht zu einseitig ausgebildet würde, und im Nachhinein muss ich ihm recht geben. Er versprach mir jedoch, mich gleich nach Abschluss meiner Lehre einzustellen, allerdings nur unter einer Bedingung: Ich müsse einen guten Abschluss machen, denn er stelle nur die Besten ein. Das spornte mich natürlich zusätzlich an.

Privat lebe ich mal wieder alleine. Meine Lebensgefährtin hatte es nicht mehr mit mir ausgehalten, weil ihr mein Leben zu langweilig war. Sie wolle nicht nur leben, sondern etwas erleben, sagte sie, bevor sie die Tür hinter sich zuschmiss. Was sie wohl zu meinem jetzigen Leben sagen würde?

Zusätzlich zu dem Laden mietete ich die Dreizimmerwohnung im Dachgeschoss mit Dachterrasse. Ich übernahm nicht nur die Bücher im Laden, sondern auch die in der circa zwanzig Quadratmeter großen Dachkammer auf dem Dachboden, wo sich die Bücher dicht an dicht bis unter die Dachziegel stapelten. Nicht gerade das beste Klima für Bücher, aber es ist der einzige Platz im Haus, wo es noch eine Lagermöglichkeit für sie gibt.

Hier lagen sie also, die Waisenkinder der Buchhandlung, teils auf, teils in und zwischen den antiken Möbeln, die Willi hier ebenfalls abgestellt hatte. In jedem nur erdenklichen Winkel steckte ein Buch. Lange Zeit hatten diese Bände unten im Laden in den Regalen gestanden und sehnsüchtig auf jemanden gewartet, der sie mit nach Hause nahm. Hier auf dem Dachboden fanden sie ihre vorerst letzte Zuflucht und bevor nun die ersten Bücherstapel die Dachziegel hochdrücken würden, fand ich es an der Zeit, etwas dagegen zu unternehmen. So fragte ich Willi, ob er damit einverstanden wäre, wenn ich die Bücher, die wirklich nicht mehr zu retten waren, entsorgen würde. Schließlich gehörten sie immer noch ihm. Ich solle, antwortete er mir, das tun, was ich für richtig halte. Er habe keine Verantwortung mehr für die Bücher, die läge jetzt allein bei mir.

Also legte ich gleich nachdem ich mit Willi über mein Vorhaben gesprochen hatte mit der Arbeit los, die Bücher zu begutachten und nach ihrem Verkaufswert, sofern sie denn einen hatten, zu sortieren. Eine Woche lang arbeitete ich so jeden Tag nach Ladenschluss auf dem leicht staubigen, von Spinnweben durchzogenen Dachboden, meist bis weit nach Mitternacht. Buch für Buch habe ich durchgesehen, jedes einzelne, ob es noch zu gebrauchen wäre. Einige ließ ich schweren Herzens in den Müll wandern.

Mein neues Wohnzimmer wurde platzmäßig kräftig mit einbezogen, und so war es im Nu mit einzelnen sortierten Bücherhaufen übersät. Lediglich kleine Gänge blieben mir, um wenigstens an diese Haufen zu gelangen. Meine Wohnzimmermöbel musste ich notgedrungen an einer Wand, stapelnderweise, zusammenschieben. Für die nächsten Monate hauste ich in einem Bücherwald. Denn es dauerte, bis ich alle Bücher verkauft hatte oder irgendwie anders losgeworden bin.

Und dann entdeckte ich es. Dieses anfangs harmlose und dennoch ungewöhnliche Buch. Es lag ganz unten, in der hintersten Ecke der Dachbodenkammer. Jahrzehntelang musste es hier von seinesgleichen gefangen gehalten worden sein. Auf dem schlichten schwarzen, schieferähnlichen Ledereinband stand nichts, kein einziger Buchstabe. Metallene Beschläge hielten es mit Nieten zusammen, die Ecken waren mit verschnörkelten Messingkanten eingefasst. Auf den ersten Blick war es ein sehr altes, aber dennoch sehr gut erhaltenes Buch, etwa DIN A4 groß, ungefähr acht Zentimeter dick. Es hatte nur dreizehn Seiten, jede Seite fast fünf Millimeter stark. Das Buch faszinierte mich auf Anhieb. Es hatte nur einen Haken: Ich konnte es nicht lesen. Nicht dass es in einer mir unbekannten Sprache geschrieben wäre, nein, das war es nicht. Es war gar nichts geschrieben. Will sagen, es enthielt praktisch überhaupt keinen Text. Ich schlug es auf, blätterte verblüfft darin herum und stellte fest, dass sich auf acht Seiten zwar jeweils in der Mitte eine Überschrift, aber keine dazugehörige Geschichte befand. Die Überschriften wirkten, als wären sie in das dicke, harte Papier eingraviert. Oder besser gesagt, es ähnelte mehr Aluminiumblech als Papier. Dazwischen verteilt waren fünf vollkommen leere Seiten.

»Was soll das denn?«, werdet ihr euch jetzt sicher fragen, genau wie ich es tat. Von Neugier getrieben, schnappte ich mir mein Fahrrad, um trotz der späten Stunde Willi einen kurzen Besuch abzustatten. Tatsächlich war er noch wach, und ich fragte ihn, ob er sich an das Buch erinnere und wisse, woher es stammte. Und er konnte sich natürlich erinnern und erzählte mir, dass vor etwa dreißig Jahren ein Landstreicher zu ihm in die Buchhandlung gekommen war und das Buch zum Verkauf anbot. Doch zum Kauf war es nicht gekommen, denn dieser Landstreicher war auf mysteriöse Weise aus dem Laden verschwunden und hatte das Buch zurückgelassen. Was blieb Willi also anderes übrig, als das Buch zu behalten? Und so entschied er sich, es als attraktives Dekorationsobjekt für sein Schaufenster zu verwenden.

Hin und wieder nahm Willi es zur Hand und versuchte, Näheres über das merkwürdige Buch zu erfahren. Er begann zu recherchieren, doch er fand nichts heraus. Es schien, als sei es vom Himmel gefallen. Es gab keine Anhaltspunkte. Weder einen Autoren noch einen Titel, geschweige denn einen Verlag. Willi zeigte das Buch vielen Kollegen, doch jede Antwort, die er erhielt, war gleich. Sie bestand aus einem ratlosen Kopfschütteln. Nach etlichen Jahren gab er es auf, weiterzuforschen, denn er hatte nicht einen Anhaltspunkt gefunden. So landete es schließlich auf dem Dachboden, wo es über zwei Jahrzehnte, eingebettet von seinen Artgenossen, schlief.

Nachdem ich das alles von Willi erfahren hatte, radelte ich wieder nach Hause, wo ich durch einen puren Zufall erfahren sollte, was es mit dem Buch auf sich hatte. So folgt mir in meine Abenteuer und deckt mit mir zusammen das Geheimnis des Buches auf. Dieses Buches, das ohne Inhalt ist, ohne Geschichten und dennoch voller Geheimnisse – voller Abenteuer!
 

© Noxlupus

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